Der «Peperone crusco» – Rotes Gold und knusprige Tradition

peperoni cruschi con salsiccie
Peperoni cruschi con salsiccie – beides hausgemacht (Pomarico 2017; Foto Dea Zuccaro)

Wer in Matera Restaurants und Märkte besucht, sollte auf diese kulinarische Köstlichkeit ganz besonders achten und vor allem sie mindestens einmal in einer ihrer zahlreichen Anwendungen in lukanischen Gerichten kosten: die Peperoni cruschi – «krokante Paprikas». Ein Gemüse, das es in jeder Hinsicht in sich hat: im Geschmack, in seinen gesunden Eigenschaften, aber auch bezogen auf seine Geschichte, die wiederum exemplarisch für die Basilicata als Ganzes ist.

Getrocknete Paprikas werden für wenige Sekunden im heissen Olivenöl scharf angebraten, abgetupft und dann entweder mit etwas Salz und Brot von Hand aus dem Teller fischend als knusprige Mahlzeit oder dann als geschmackvolle Zutat in einem Gericht gekocht. Typisches Beispiel für einen kaum mehr wegzudenkenden Bestandteil einer cucina povera, einfache Küche körperlich hart arbeitender ländlicher Bevölkerung. Die Paprika hat in der Basilicata die idealen klimatischen Bedingungen und Bodenbeschaffenheit vorgefunden, um hier heimisch und schliesslich weiterentwickelt zu werden. Und damit sind auch gleich der Migrationshintergrund dieser grossen Sortenfamilie der Paprika, der capsicum annuum, und die Geschichte des Landes angesprochen:

Migrationsgeschichte und Traditionsbildung

Es war zunächst ein Italiener, der diese Paprikasorten nach Europa gebracht hat: Christoph Kolumbus. Damals war die Basilicata Teil des Königreichs von Neapel und damit unter dem Königshaus der Aragonesen spanisches Territorium. Ihnen verdanken wir diese genuinen Italiener, die es in unzähligen Sorten von süss, über mild bis zu extremen Schärfen (Chili) gibt. Eigentlich handelt es sich dabei ja übrigens wie die Tomate eine Beere, mit der die Paprika doch einiges an Geschichte und Entwicklung in der Region und in der ganzen italienischen Küche teilt.

Übrigens: Die Peperoni cruschi sind erst seit jüngster Zeit typisch für Matera geworden und werden seit wenigen Jahren als Bestandteil lukanischen Erbes beworben. Aber das sind sie auch: Mit Nadel und Faden zusammengeheftet, zum Trocknen an die heisse Sonne gehängt, erzählen diese schön anzuschauenden Girlanden von einer alten ländlichen Tradition, die besonders im Umland der Stadt und in verschiedenen – über lange Zeit voneinander sehr isolierten Dörfern – schon sehr lange vor Matera gepflegt worden war. Wie etwa in Pomarico, wo die Zubereitung sonnen- und luftgetrockneter milder und scharfer Paprikasorten offenbar seit gefühlten Urzeiten gang und gäbe war. Mein Vater hat sich diese Tradition immer wieder in die Schweiz mitgenommen. Die knusprigen, kurz angebratenen Schoten werden auch im Öl schwimmend serviert, und sind, bisweilen mit etwas eingekochten Tomaten (Pelati) aufgefrischt, eine köstliche Sache – und nebenbei auch eine gesellige: Solche Gerichte ist man aus einem gemeinsamen Teller.

Ich will mich botanisch nicht weiter auf mir unbekannte Äste hinauswagen bei der Frage, welche Paprikasorten für den Crusco infrage kommen beziehungsweise worin sich die Sorten von Paprika, Peperoni, Peperoncini und wie sie alle heissen, unterscheiden. Unter der lateinischen Bezeichnung capsicum annuum schart sich eine grosse Familie, und mit der Zeit, unabhängig von Wissenschaft, wurden in Volks- und anderen Mündern viele Namen geläufig. Auch das ist letztlich typisch für die Geschichte so einer Gegend: Verschiedene Namen für das Gleiche – den gleichen Namen für Verschiedenes. Warum soll es einem Peperoni-Clan anders ergehen …

Der süsse Botschafter

Beim Peperone crusco meint man aber zunächst eine sehr süsse, in der Form konische, längliche Sorte, die sich ausgesprochen gut zum Trocknen eignet – und da reihen sich auch die Varianten ein, die man als Peperone di Senise mit IGP-Zertifizierung verkauft. Sorten für den Peperone di Senise werden an verschiedenen Orten in der Basilicata angebaut, sind aufgrund des bisher Gesagten aber nicht der einzige Crusco – denn damit ist nur die Form der Zubereitung gemeint; das scharfe Anbraten im olio extra vergine.

«Rotes Gold»

Die getrockneten Paprikas sind sehr lange haltbar, wenn sie richtig gelagert werden. Auch das ist wichtig für den Alltag der hiesigen Bevölkerung. Sie sind nicht nur sehr gesund und nährstoffreich, sondern enthalten auch ihrerseits eine konservierende Wirkung: Aus den getrockneten Paprikas wird ein feines Pulver gemahlen, das in einen anderen lukanischen Schatz gearbeitet wird, nämlich zur Konservierung des frischen Fleisches in den Salsiccie (Schweinswürsten); in Pomarico ergänzt um die getrockneten Blüten einer Wildfenchelart. Dieses Pulver – ob mild oder scharf – eignet sich sehr gut zum Würzen – etwa eines Tellers Pasta mit Tomatensauce – und soll seinerseits diverse Eigenschaften mit sich bringen, die man ihm nachsagt. Se non è vero, è ben trovato – auf alle Fälle sehr schmackhaft, in der scharfen Variante aber mit Vorsicht zu geniessen.

Nicht umsonst also bezeichnet man den Peperone crusco – allen voran die Seniser Variante – als «rotes Gold». Im Dialekt spricht man gar von «rotem Safran».

Nach Kolumbus begann also so etwas wie eine erste Globalisierung der schlagartig erweiterten Welt, und mit ihr beginnt die Paprika, um die Welt zu wandern. Einige Sorten schlagen dank den Spaniern in der Basilicata Wurzeln, nähren die hart arbeitende Bevölkerung und gehören mit ihrem ganz eigenen Geschmack schliesslich zu den Wurzeln derer, die diesen Boden wieder verlassen haben. Nun hat Matera diese Tradition aufgenommen und verbreitet damit ein Stück Geschichte dieses Bodens und seiner Menschen auf den Tellern in alle Welt.

Hinweis – 14.1.2019: Der vorliegende Text wurde im Rahmen des Blogprojekts «Terra di Matera: Basilicata – Reisen, Gedanken und Erinnerungen» geschrieben und gilt nunmehr als nicht mehr weiter bearbeiteter oder korrigierter Entwurf für das Buch «Matera, die Basilicata und ich: Ein persönlicher und literarischer Reisebegleiter auf der Suche nach dem mystischen Herzen Süditaliens».
Alle mit diesem Hinweis gekennzeichneten Kapitel wurden für das Buch inhaltlich überarbeitet, mit Ergänzungen versehen und sprachlich korrigiert und erscheinen damit gedruckt in lektorierter Form. Freuen Sie sich auf mehr Lesevergnügen!


Ein paar wenige Rezeptbeispiele:

«Spaghetti alle chitarra con peperoni chruschi»

«Peperoni secchi con patate»


Weitere Links und Informationen:

https://www.youtube.com/watch?v=4-QrdcRd3CU

http://www.ilcuoreingola.it/it/gli-speciali/2012/07/07/gli-speciali-i-peperoni-cruschi-di-senise

Peperoni secchi

3 Gedanken zu “Der «Peperone crusco» – Rotes Gold und knusprige Tradition

  1. mmhhh so fein, die Zutaten das Oel! Bestimmt sehr feines, und alles nacheinander darin gedünstet, die Peperoni, der Knoblauch – die Geschmäcker müssen sich in diesem Oel vereinen… am Schluss die Spaghetti… und der Käse!
    Herrlich! :-)) Wunderbar. Danke Sehr.

    Gefällt 1 Person

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