Lange lebte sie inmitten ihrer Vergangenheit. Dass eine der ältesten Städte der Welt nach ihrer Zukunft fragt, ist verständlich. Logisch sogar. Ein paar farbige Rechtecke, die auf den ersten Blick etwas unmotiviert neben dem Schriftzug stehen, sollen es nun richten.
Die Beziehung zwischen Bezeichnetem und Zeichnung bedarf bisweilen einer Erklärung. Das ist die Existenzgrundlage jedes Symbols. Diese Übersetzung ist besonders dann anspruchsvoll, wenn das Symbol von aussen kommt; ist die so aufgesetzte Konvention aber erst einmal Allgemeingut, ist damit noch nichts über deren Akzeptanz und Einstellung ihr gegenüber gesagt. Was also, wenn so etwas in einer Gegend geschieht, die ihre Ästhetik nicht über harmonische mathematische Formeln und Design definiert, sondern eine Ursprünglichkeit repräsentiert, die ihresgleichen sucht?
2018 ist etwas Denkwürdiges passiert: die Stiftung beziehungsweise die Kampagne Matera-Basilicata 2019 gibt sich ein neues Logo.[1] Hatte auch das bisherige Logo durchaus etwas Rätselhaftes, knüpften die Erklärungsversuche doch immer nachvollziehbar an dem an, was Matera ausmacht. Etwa die Höhlenwohnungen, die braune Erde, der Himmel …[2] Der Bruch mit dieser Erzählung geht tief, man wolle sich von der Rückwärtsgewandtheit lösen, kohärenter kommunizieren, was die Kampagne möchte, und die Reaktionen, nicht nur, weil die Auswahl des Siegerprojekts Fragen offen liess, blieben nicht aus.[3] Was hat die so eigene Morphologie der alten Sassi mit Fibunacci, mit dem Goldenen Schnitt zu tun? Ein gewagter grafischer Kniff, Matera (und die Basilicata) in die Moderne zu katapultieren. Die Häuser und Fenster bilden zwar die Grundlage für die fünf farbigen Rechtecke, diese lösen sich aber von ihrer Folie und ordnen sich im Symbolteil des Logos neu an. Gefragt wurden weder die Häuser noch deren Bewohnerinnen und Bewohner.[4]
Die etwas intellektuelle Abstraktion macht diese eigenartige Stadt in meinen Augen so mit anderen wieder ein Stück gleicher. – Die Magie des Ortes ist stärker von Konkretem als Abstraktem geprägt, von einer engen Verbindung von Mensch und Natur. Das Leben war hart, bisweilen zwar kantig, das Kollektive Gedächtnis hat eine ganz eigene Metaphysik trotz aller kulturellen Überlagerungen durch Kirche und sogenannte Zivilisation ein stückweit – zumindest bis vor kurzem – bewahren können.
Die Macher sagen, das Logo sei nicht nur extrem vielfältig, sondern auch multimedial und offen – seine Elemente, die farbigen Rechtecke, lassen sich etwa bei multimedialen Anwendungen in einem definierten Gitter entsprechend den Regeln des Goldenen Schnitts bewegen.
Die farbigen Rechtecke stehen für die Häuser, Fenster, die dem Betrachter der städtischen Kulisse ins Auge springen … «Matera 2019» steht da weiterhin als Textelement; was täten die Rechtecke nur ohne ihre Stadt?
«Erinnerst Du dich, als Du gerufen hast – tetelestai – ‹Es ist vollbracht›? – Wann ist ein Werk vollendet? Selbst nach einigen geschriebenen Kapiteln über meine Begegnung mit der Basilicata macht sich immer wieder das Gefühl breit, dass es mindestens ebenso viele nie geschriebene Kapitel geben wird. Daneben gibt es noch eine ganz andere Kategorie: Die unvorhergesehenen Kapitel. Welche davon soll man auf der Reise zu einem in nachvollziehbarem Rahmen abgeschlossenen Werk noch «mitnehmen»?
Unvorhergesehenes ergibt sich nicht nur bei Neu-Entdeckungen auf Reisen, beim Fragen und Suchen, sondern auch aus der Aktualität. Die Zeit macht während des Schreibens in einer sich rasant öffnenden und in einer vernetzten, multimedialen Welt immer bekannter werdenden Basilicata während des Schreibens nicht Halt.
Man kommt also nicht umhin, diesen trotzdem etwas abrupten, wenn auch schon lange angekündigten und damit nicht ganz unvorhergesehenen Wechsel des Logos auch in diesem Werk zur Kenntnis zu nehmen. Ein Wechsel zu einem doch recht anspruchsvollen Logo für die neue Phase der Kampagne, die endgültig der Kandidatur entwachsen und nun in die Umsetzung eintritt.
Es ist natürlich zu begrüssen, dass die Stiftung, die hinter der Kulturhauptstadtkampagne steht, den Schwung für eine offene, gestaltbare Zukunft aufnehmen und diesen betonen möchte. Es bleibt aber zu hoffen, dass sie dabei den Ursprüngen bei aller Logik von Logos trotzdem die ihr gebührende Rechnung trägt und Menschen und ihre Verwurzelung in die offene Zukunft einfühlsam mitnimmt. «Open future» steht auf der zweiten Zeile. Die Zukunft ist offen – für alle mit und nach der Kampagne: für Matera, die Basilicata, die Bevölkerung und die Verantwortlichen ebenso wie für das Logo und seinen Erfolg. Allen Elementen sei natürlich nur das Beste in dieser Beziehung gewünscht.

Fernsehbeiträge zur Präsentation des neuen Logos und mit vertieften Erklärungen zur Bedeutung:
https://www.youtube.com/watch?v=wzczxlLSWFI
https://www.youtube.com/watch?v=bCZF4RXAE1U
Links geprüft am 4.3.2018
Beitragsbild: Geschützt und nicht für kommerzielle Zwecke zu verwenden. Entnommen für diesen Blog von: https://www.wired.it/lifestyle/design/2018/03/01/matera-capitale-europea-cultura-2019-logo/
Hinweis – 14.1.2019: Der vorliegende Text wurde im Rahmen des Blogprojekts «Terra di Matera: Basilicata – Reisen, Gedanken und Erinnerungen» geschrieben und gilt nunmehr als nicht mehr weiter bearbeiteter oder korrigierter Entwurf für das Buch «Matera, die Basilicata und ich: Ein persönlicher und literarischer Reisebegleiter auf der Suche nach dem mystischen Herzen Süditaliens».
Alle mit diesem Hinweis gekennzeichneten Kapitel wurden für das Buch inhaltlich überarbeitet, mit Ergänzungen versehen und sprachlich korrigiert und erscheinen damit gedruckt in lektorierter Form. Freuen Sie sich auf mehr Lesevergnügen!
[1] Ein Bericht dazu: http://www.lagazzettadelmezzogiorno.it/news/spettacolo/987399/ecco-il-nuovo-logo-di-matera-2019.html – Link geprüft am 4.3.2018.
[2] Zum nun alten Logo vgl. das Kapitel «Viva Matera – Was uns ein Logo erzählt»: https://terramatera.wordpress.com/2017/06/18/viva-matera-was-uns-ein-logo-erzaehlt/.
[3] Vgl. den aufschlussreichen Artikel über Kritik, Hintergründe und weitere Infos zum Logo von «Wired»: https://www.wired.it/lifestyle/design/2018/03/01/matera-capitale-europea-cultura-2019-logo/ – Link geprüft am 4.3.2018.
[4] So waren die Spielregeln der schon 2016 lancierten Ausschreibung. Das Projekt hatte nach Aussage der Jury bereits im Vorfeld die notwendige Punktezahl überschritten, so dass schlussendlich nur dieses in die Schlussrunde kam und eine Befragung der Bevölkerung nicht mehr notwendig war. Alles zur Motivation bzw. Wahl des Logos hier im Pressetext der Stiftung: http://www.matera-basilicata2019.it/en/multimedia/press-area/press-release/1169-matera-2019-le-motivazioni-della-giuria-per-la-scelta-del-nuovo-logo.html – Link geprüft am 4.3.2018.
Zum neue Logo kann ich nur sagen: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten?“ Es ist austauschbar und nichtssagend. Das alte hat mir besser gefallen. Gibt’s schon ein Programm für das nächste Jahr? Liebe Grüße schickt der Peter
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Ich hab es noch nicht erblickt…
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